SHANHAI IJIN SHÔKAN

FRUITS OF PASSION

Film | Retrospektive Terayama Shûji

FRUITS OF PASSION

上海異人娼館

SHANHAI IJIN SHÔKAN

Gegen Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts bringt Sir Stephen die Dame O in ein Bordell, oder auch „Blumenhaus“, in China. Die beiden haben einen wahnsinnigen Pakt geschlossen, den sie nun bis zum letzten Schluss ausführen. Prostituiert und allen Besuchern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, empfindet O absolute Liebe für Sir Stephen.

Die einheimische Bevölkerung der internationalen Konzessionen in Shanghai und Hong Kong beginnt, sich gegen die ausländischen Privilegien aufzulehnen. Sir Stephen, der ein perverses Vergnügen daran entwickelt hatte, eine Gruppe heimlicher Verschwörer zu finanzieren, erkennt die Gefahr und lehnt weitere Beiträge ab. Er verfolgt seinen wilden Traum, dessen Opfer und Instrument O ist und den sie allein mit ihm teilt.

Ebenso wie die Kunden haben auch die Frauen im „Blumenhaus“ ihre Manien. Einsame, mitleiderregende Gestalten, die Seite an Seite leben, aber niemals in ihrer Einsamkeit zusammenkommen. Ein Piano scheint am Grund des Flusses in endloser Begleitung ihrer Träume zu spielen. In den Straßen gehen die Menschen aneinander vorbei, ohne sich zu erkennen.

Als Sir Stephen einen jungen Mann anrempelt, ahnt er nicht, dass dieser ihn zerstören wird. Für O mag dieser junge Mann nur ein weiterer Kunde sein, aber Sir Stephen, der die beiden heimlich beobachtet, fühlt sich betrogen, da die Jugend den beiden Kindern einen Moment von Anmut verleiht. Die Liebe der O zu ihm, diese Liebe bis zum Wahnsinn, der Selbstauslöschung, der totalen Erniedrigung, war umsonst.

Er findet den Jungen und bringt ihn um. Im Trubel einer farbenfrohen Feier teilt der Tod O mit, maskiert und verschleiert in Schwarz, dass Sir Stephen verschwunden ist. Wird sie am Schluss frei sein?

Interview mit Terayama Shûji

Was bedeutet Sex für Sie, Terayama Shûji? Erklärt sich Ihre Haltung aus der japanischen Tradition, der wir die besten Produkte erotischer Kunst verdanken? Oder haben Sie versucht, unter der Anziehungskraft des Westens, mit „Fruits of Passion“ in die Fußstapfen von Georges Bataille zu treten?

Lassen Sie uns nicht einsteigen in die gewaltigen Fragen, die Bataille aufgeworfen hat. Dies würde uns zu einer extrem langen Diskussion über die westliche Tradition von Erotik führen. Ich betrachte Sex als eine Art Kommunikation, eine Art von Spiel, eine Möglichkeit, Ordnung in zufällige Begegnungen zu bringen und die undurchsichtigsten Persönlichkeiten zu durchdringen. Es ist eine der wenigen Wetten, die nicht unbedingt etwas mit Geld zu tun haben müssen. Es ist außerdem etwas, das dem Sport oder der Wissenschaft radikal entgegensteht: Erotik lebt nur in der Welt der Vorstellung.

Die Welt der Vorstellung! Ist das nicht eine rätselhafte Antwort! Wir sagen sehr einfach, dass Sie in der Ikonographie von „Fruits of Passion“ erotische Symbole des Ostens und Westens miteinander kombinieren.

Ich selbst sehe diese Dichotomie zwischen dem Osten und Westen nicht. Meine erotische Metaphorik ist weniger durch die gegenseitige Durchdringung als beispielsweise durch die Holzschnitte von Utamaro oder Hokusai stimuliert. Ich habe versucht, meinen eigenen Stil zu kreieren. Es liegt an Ihnen zu entscheiden, ob ich mehr unter dem Einfluss der japanischen oder westlichen Ausdrucksweise stehe. In „Fruits of Passion“ wird Erotik mit Unerfülltheit oder Krankheit assoziiert. Denken Sie an die Frauen im „Blumenhaus“: eine ist wahnsinnig, eine zweite autistisch, die dritte tuberkulös...

Würden Sie sagen, dass diese Defizite zusammenkommen, um die weibliche Psyche zu formen?

Auf jeden Fall ergänzen sie einander. Was der einen Frau fehlt, hat die andere. Sie leben zusammen, weil sie Bildnisse einer Welt sind, in der alles einen Tauschwert besitzt, Sex genauso wie Geld, und Symbole genauso wie Gegenstände. Das ist genau das, was O am Ende des Films klar wird: sie ist nicht länger ein Subjekt der Marktgesetze, sondern vielleicht kann sie beginnen zu leben.

Im Set des „Blumenhauses“ haben Sie monochrome Kompositionen gewählt, die auf bestimmte cineastische Vorbilder zurückzukommen scheinen. War dies ein Mittel, um auf die Illusion hinzuweisen, die Sie schaffen, oder ein Weg, sie zu diskreditieren?

Seit meiner Kindheit fühle ich mich angezogen von Lautréamant, von seinen zufälligen Begegnungen zwischen vollkommen heterogenen Gegenständen, zum Beispiel dem berühmten Treffen eines Regenschirms und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch. Inspiriert von alten Photographien bemalten Gôda Sawako und ich, abgestimmt auf bestimmte Charaktere, Tafeln und platzierten sie an der Stelle, in deren Nähe diese Charaktere auftreten würden.

Die Mutterfigur, die in Ihren früheren Werken immer wiederkehrt, wird hier durch den Vater ersetzt. In der Phantasie von O schafft ihr Vater ein Gefängnis, indem er ein Viereck aus Kreide um das Kind herum zeichnet. In den Gesichtszügen eines Kunden erkennt Byakuran, eine der Prostituierten, ihren Vater, der sie unheimliche Spiele spielen ließ.

Unsere moderne Welt ist dominiert von dieser Abwesenheit. In der Politik, der Religion und auch beim Sex suchen wir alle nach dem abwesenden Vater. Das ist richtig, und das Gleiche kann man auch über die Revolutionäre sagen, die sich Sir Stephen als ihren Beschützer wünschen.

Welchen Platz weisen Sie der Revolution zu im Verhältnis zu der Welt des Kaufens und Verkaufens, wie sie vom „Blumenhaus“ symbolisiert wird?

Meine Revolutionäre sind einfach die Clowns dieser Welt. Sie sind noch nicht dahintergekommen, dass politische Revolution lediglich ein Teilaspekt der Revolution ist. Sie sehen nur die materielle Realität, während die Prostituierten, eingesperrt in ihrer Subjektivität, nur ihre Gefühlswelt kennen. Die Welt der Prostituierten wird farbig dargestellt, diejenige der Randalierer monochrom, zumindest zu Beginn des Films. Der Junge ist die Verbindung zwischen den beiden Welten. Von dem Moment an, als er die Welt von O betritt, ist der Film durchgängig in Farbe. Wir sprechen von Clowns, aber vergessen Sie nicht, dass Clowns oft dabei geholfen haben, den Lauf der Geschichte zu ändern. Könnte die Menschheit voranschreiten ohne ihre Revolte, ohne die „Verrücktheit“ meiner Prostituierten?

Datum
03.07.2003 19:00 Uhr

Ort
Japanisches Kulturinstitut
Universitätsstraße 98
50674 Köln

Informationen zum Film

  • Regie: TERAYAMA Shûji
  • Spieldauer: 86
  • Produktionsjahr: 1980
  • Übersetzung: OmeU