Miyazawa-Kenji-Monat

Besondere Veranstaltung

Miyazawa-Kenji-Monat

Miyazawa Kenji (1896-1933) ist einer der beliebtesten Schriftsteller in Japan. Viele der in Japan Aufgewachsenen haben einmal seine Märchen und Kurzgeschichten wie „Das Restaurant mit vielen Bestellungen(注⽂ の多い料理店)“ oder „Matasaburo, der Wind(⾵の⼜三郎)“ gelesen. Diese Geschichten voller lebendiger Onomatopöien, aber auch seine bekannten Gedichte wie "Selbst dem Regen trotzen und dem Wind“( ⾬ニモマケズ、⾵ニモマケズ) sind auch für Kinder leicht zugänglich und sind häufig in japanischen Sprachlehrbüchern enthalten. Es gibt inzwischen unzählige Anime-Adaptionen und Verfilmungen seiner Geschichten, und das Internet ist voll von kommerziellen, pädagogischen und selbstgemachten Videolesungen seiner Werke. Viele, die mit der japanischen Sprache leben, sind mit Kenji aufgewachsen. (Da in Japan bekannte Autoren traditionell oft mit Vornamen genannt werden, wird Miyazawa im Folgenden mit „Kenji“ genannt.)

Miyazawa Kenji im deutschsprachigen Raum
Obwohl japanische Literatur vor allem in den letzten Jahren viel ins Deutsche übersetzt wurde, gibt es darunter bislang nur wenige Werke von Kenji. Auf Deutsch erhältlich war von ihm bis vor kurzem nur eine von Johanna Fischer übersetzte Kurzgeschichtensammlung (Die Früchte des Ginkgo, 1980). Das Japanische Kulturinstitut Köln hat daher beschlossen, den März 2022 als den Kölner "MIYAZAWA-KENJI-MONAT" zu erklären und eine Reihe von Veranstaltungen zur Kenji-Literatur anzubieten. Es war ein glücklicher Zufall, dass letztes Jahr, gerade als wir diese Veranstaltungsreihe planten, die deutsche Übersetzung eines der bekanntesten Werke von Miyazawa Kenji, das Märchen „Eine Nacht in der Milchstraßenbahn“ erschienen ist. Natürlich ist die Lesung mit dem Übersetzer und der Herausgeberin dieses Buchs als einer der Höhepunkte des MIYAZAWA-KENJIMONAT in Köln geplant.

Tiefgründige Fragen, die in den Märchen stecken
In seinem 37 Jahre kurzen Leben schrieb Miyazawa Kenji unzählige Märchen mit unerwartetem Ausgang, von denen die Kinder und Jugendliche, aber noch mehr die Erwachsenen in Japan fasziniert bleiben. In ihnen werden zwar, wie bei Äsops Märchen, oft die Welt der sprechenden Tiere und Pflanzen lebendig beschrieben, keine von ihnen ist jedoch eine einfache „Geschichte“, die das Gute fördern und das Böse bestrafen würde. Alle hinterlassen einen seltsamen Eindruck, die den Leser zum weiteren Philosophieren einlädt. Kenji war erstaunlich vielseitig interessiert: Er interessierte sich einerseits für die Naturwissenschaften und Spitzenforschungen seiner Zeit wie Mineralogie, Astronomie und Relativitätstheorie, las verschiedene Literatur auch aus Europa wie die Werke von Hans Christian Andersen, Lewis Carroll und Tolstoi, sammelte und hörte gern Schallplatten (bereits in den 1920er Jahren!), schauten sich Filme und Gemälde gern an und so hatte der buddhistisch geprägter Möchte-gern-Bauer für die damalige Zeit erstaunlich breite Kenntnisse auch über die europäische Kultur und Zivilisation. Andererseits pflegte Kenji seine Ehrfurcht vor der Natur, blieb religiös und bestand darauf, nicht in der Stadt, sondern auf dem Land ein äußerst schlichtes Leben zu führen und Landwirtschaft zu betreiben, und zwar in seiner Heimat Iwate/Ihatov im Nordosten Japans. Sein Märchen basiert auf einer animistischen Atmosphäre, in der die Kommunikation mit der Natur, dem Universum und den Toten eine Selbstverständlichkeit ist. So entwickeln sich die scheinbar für Kinder geschriebenen Märchen zu den Aphorismen, in denen die Grenzen zwischen Leben und Tod, Erde und Raum verschwinden und nach der Bedeutung der Selbstaufopferung, nach dem Sinn des Lebens und nach dem „wahren Glück“ gefragt wird.

Das Rätseln der „Kenjiesken“ Literatur
Jeder Satz in Kenjis Texten ist eigentlich konkret und klar, mit viel Onomatopöie, die nicht nur laute und lautlose Geräusche, sondern auch Stimmungen und innere Gedanken mit Lautmalerei beschreibt. (Zum Thema „Onomatopöie bei Miyazawa Kenji“ bieten wir einen Workshop am 11. 3.) Die rhythmische Natur seines Textes ermöglicht es, dass die Leser und Zuhörer einen direkten Zugang zu den Texten bekommen. Kein Wunder, dass seine Geschichten besonders gern vorgelesen werden. Nichtsdestotrotz sind Kenjis Werke ungewöhnlich und rätselhaft. Sie lassen dem Leser eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten offen, die ihn zum weiteren Erforschen und Phantasieren einladen. In dem Sinne erinnert die Literatur von Miyazawa Kenji an das Werk seines deutschsprachigen Zeitgenossen Franz Kafka (1883-1924). Die Märchensammlung „Das Restaurant mit vielen Bestellungen“, eins der wenigen Werke, die zu Kenjis Lebzeiten publiziert wurden (gerade einmal 1.000 Exemplare), erschien ein halbes Jahr nach dem Tod von Franz Kafka. Die allermeisten der Werke beide Schriftsteller, die übrigens im Konflikt mit dem Vater und mit einer starker Zuneigung zur eigenen jüngeren Schwester in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts ihre Werke geschaffen haben, wurden posthum veröffentlicht.

Einflüsse auf die Nachwelt
In Kenjis Geburtsstadt Hanamaki in der Präfektur Iwate gibt es das Miyazawa Kenji-Museum und das Miyazawa- Kenji-Ihatov-Museum. ("Ihatov" ist der von Kenji erfundene Name für ein utopisches Land, das in mehreren Werken auftaucht und vermutlich eine Esperanto-Ableitung des Ortsnamens „Iwate/Ihate“ darstellt). Seit 1991 wird jährlich der Ihatov-Preis verliehen für besondere soziale Beiträge von Menschen, die im Geist von Miyazawa Kenji engagiert sind. Die Liste der Preisträger zeigt, wie viele Menschen bis heute von Kenji stark beeinflusst worden sind. So z. B. TAKAGI Jinzaburo (Preisverleihung: 1995), der als Atomphysiker nie müde wurde, vor Gefahren der Atomunfälle zu warnen, NAKAMURA Tetsu (2004), der sich als Arzt jahrzehntelang für den Wiederaufbau und medizinische Fürsorge in Pakistan und Afghanistan eingesetzt hat, bis er 2019 von den Taliban ermordet wurde, TAKAHATA Isao (2015), der Regisseur vom Anime-Film „Gōshu, der Cellist“, oder MÔRI Mamoru (2021), einer der Space-Shuttle-Astronauten aus Japan, der seine Sicht des Universums, wie er wiederholt beteuert, Miyazawa Kenji verdankt. All diese bekannten Preisträger aus unterschiedlichen Bereichen sprechen begeistert von ihren Kenji-Erlebnissen in ihrer Jugendzeit, und in diesem Sinne zählt Miyazawa Kenji wohl zu den wichtigsten Schlüsselfiguren beim Verständnis des modernen Japan.

Drei Werke im Blickpunkt des MIYAZAWA-KENJI-MONAT
Von den zahlreichen Werken, die Kenji hinterlassen hat, können wir diesmal in Köln auf nur einige wenige eingehen, da bisher nur wenige seiner Werke ins Deutsche übersetzt wurden. Trotzdem wollen wir Sie gern in die literarische Welt von Miyazawa Kenji einladen, auch mit Hilfe der auf Deutsch oder Englisch zugänglichen Animes und Filme. Dabei bilden folgende drei Geschichten den Schwerpunkt unserer Veranstaltungen.

1. Gōshu, der Cellist/セロ弾きのゴーシュ
Die eindrucksvolle Geschichte des Cellisten Gōshu, der im Dialog mit Tieren wie dem Kuckuck (Kakko), dem Waschbär (Tanuki) und Mäusen unfreiwillig ein wichtiges Stück seines musikalischen und menschlichen Bildungsprozesses in zehn Tagen erlebt, wurde 1982 von TAKAHATA Isao als Anime verfilmt. Unser „MIYAZAWAKENJI- MONAT“ sieht außer zwei Filmvorführungen (am 14. u. 24.3.) auch einen Online-Vortrag und ein Cello- Konzert vor. Der Vortrag von Professor Reinhard Zöllner von der Universität Bonn (am 2. 3.) trägt den Titel: „Musik macht menschlich. Miyazawa, Takahata und Beethoven“. Die Cellistin UEHARA Alice wird zusammen mit der Vorleserin OGATA Ayako die Erzählung musikalisch aufführen (am 4. 3.).
Das Japanische Kulturinstitut Köln hat eine eigene deutsche Übersetzung angefertigt, die Sie am Ende dieses Prospekts finden. „Gōshu, der Cellist“ wurde wohl 1931 begonnen, jedoch erstmals 1934 posthum veröffentlicht. Bekannt ist, dass Kenji 1926 mit den Schallplattenkonzerten und Orchesterproben begann. Angenommen, dass mit der in der Erzählung genannten „Sechsten Symphonie“ die „Pastorale“ von Beethoven gemeint ist, wovon die meisten Forscher ausgehen, sollte man übrigens wohl mit bedenken, dass die Symphonien Beethovens erst in den 20er Jahren in Japan allmählich aufgeführt wurden. Das hier von Kenji beschriebene Konzert widerspiegelt gewissermaßen die allgemeinen Aufführungsszenen am Beginn der Rezeptionsgeschichte europäischer Musik in Japan.

2. Yamanashi (Waldbirne)/やまなし
Die Erzählung besteht aus Gesprächen zwischen zwei Krabbenkindern und ihrem Vater unter der Wasseroberfläche, jeweils „im Mai“ und „im Dezember“. Die scheinbar kindlich-unschuldige Unterhaltung kreist um das Thema: Leben und Tod, denn ein Leben ist ohne das Opfer eines anderen nicht möglich. Dieses Märchen erscheint oft im Japanisch-Lehrbuch für die Grundschule. Das ist wohl mit ein Grund dafür, warum so viel Videos von Lesungen auf YouTube zu finden sind, und es gibt immer wieder Diskussionen und Interpretationen auch unter den Lehrenden darüber, warum der Titel "Yamanashi" lautet und was "Clammbon" ist (wie im Fall von Kafka über „Odradek“).
Im MIYAZAWA-KENJI-MONAT in Köln bieten wir drei Veranstaltungen mit dieser Geschichte an. Die erste und die zweite sind ein japanisch-deutscher Übersetzungsworkshop. Zwei Online-Übersetzungsworkshops, jeweils zum Abschnitt „Mai“ (am 12. 3.) und „Dezember“ (am 19. 3.), werden von Frau Ursula Gräfe geleitet, die zahlreiche Werke wie die von MURAKAMI Haruki und OGAWA Yoko ins Deutsche übersetzt hat und u.a. mit dem Übersetzerpreis der Japan Foundation ausgezeichnet wurde. Zur Teilnahme steht ein Arbeitsblatt zum Download zur Verfügung, auf das die eigene Übersetzung der Teilnehmenden eingetragen und vorab an unser Institut zurückgeschickt werden soll.
Der andere online-Workshop befasst sich mit der Onomatopöie (am 11. 3.) unter Leitung von Frau YOSHIOKA Chisato, die bis zum Sommer 2021 als Fachexpertin für Japanisch als Fremdsprache in Köln tätig war und jetzt in Budapest arbeitet. Die japanische Sprache ist reich an Onomatopöie, in den Werken von Miyazawa Kenji aber kommen Lautmalereien besonders zahlreich und eindrucksvoll vor. In dem Workshop werden die teilnehmenden Japanischlernenden (ab B1-Niveau) die onomatopoetischen Ausdrücke in „Yamanashi“ analysieren und den Sinn und die Funktion der Ausdrücke näher kennen lernen.

3. Eine Nacht in der Milchstraßenbahn※(銀河鉄道の夜)
Dies ist eines der berühmtesten Werke von Miyazawa Kenji, das jedoch unvollendet blieb. Die Hauptfigur Giovanni findet sich in einem Zug wieder, der mit seinem besten Freund Campanella durch den Weltraum fährt. Auf der Milchstraßenbahn treffen und trennen sie sich von vielen Menschen, darunter auch den Opfern der 1912 gesunkenen Titanic. Alle, die in der Geschichte auftauchen, sind eigentlich Tote, einschließlich Campanella, wie sich noch herausstellen sollte. In diesem Märchen für Erwachsene werden die Leser mit dem Tod vieler Menschen und der Frage nach dem wahren Glück konfrontiert. Da die deutsche Übersetzung kürzlich erschienen ist, veranstalten wir in Köln die Buchvorstellung mit dem Übersetzer Jürgen Stalph und der Verlegerin des Cass Verlags, Katja Cassing, die über den Autor und das Buch sprechen und einige Passagen aus dem neuerschienenen Buch vorlesen werden (am 25. 3.).
Unter den zahlreichen Filmen, Theaterstücken und Videos, die aus diesem Werk entstanden sind, wird das Kölner Publikum den Film „Night on the Galactic Railroad“ (Regie: SUGII Gisaburo, 1985) sehen, der auf der Manga-Adaption von MASUMURA Hiroshi basiert (am 17. u. 28. 3.). Der Film zeichnet sich dadurch aus, dass die meisten Figuren als Katzen dargestellt werden. Die Musik stammt von HOSONO Haruomi, dem Enkel von HOSONO Masafumi, dem einzigen Japaner, der den Untergang der Titanic überlebte. Der Film „Das Leben von Gusuko Budori“ (anime, 2013), der nur am 21.3. gezeigt wird, stammt ebenso vom Regisseur SUGII Gisaburo. Der MIYAZAWA-KENJI-MONAT geht am 31.3. zu Ende mit dem Film „Unser Milchstraßenexpress“ (Regie: ÔMORI Kazuki), der zum 100. Geburtstag von Miyazawa Kenji gedreht wurde. Der Film ist keine Verfilmung von „Eine Nacht in der Milchstraßenbahn“, sondern eine Miyazawa-Kenji-Biografie, die mit verschiedenen Märchen und Gedichten von ihm frei verwoben ist. Es ist keine getreue Biografie, doch zum Abschluss des MIYAZAWA-KENJI-MONAT in Köln möchten wir mit diesem Film auf das Leben und die Werke dieses Schriftstellers zurückblicken.

Veranstaltungspläne im März 2022
2. (Mi)  Online-Vortrag „Musik macht menschlich. Miyazawa, Takahata und Beethoven“
             Prof. Dr. Reinhard Zöllner (Universität Bonn, Abteilung für Japanologie und Koreanistik)
4. (Fr)   Cello-Konzert zur Erzählung "Cellist der Gōshu“, UEHARA Alice und OGATA Ayako
11.(Fr)  Online-Workshop: „Onomatopöie bei Miyazawa Kenji“ YOSHIOKA Chisato
12.(Sa) Online-Übersetzungsworkshop(1) „Yamanashi“, Ursula Gräfe
14.(Mo) Film, „Gōshu, der Cellist“ (Takahata Isao/anime,1982)
17.(Do) Film, „Milchstraßenbahn“ (SUGII Gisaburô/anime,1985)
19.(Sa) Online-Übersetzungsworkshop(2) „Yamanashi“, mit Ursula Gräfe
21.(Mo) Film, „Das Leben von Gusuko Budori“, (SUGII Gisaburô/anime, 2013)
24.(Do) Film, „Gōshu, der Cellist“ (TAKAHATA Isao/anime,1982)
25.(Fr)  Buchpräsentation: „Milchstraßenbahn“
             (Übersetzer Jürgen Stalph + Verlegerin Katja Cassing)
28.(Mo) Film, „Milchstraßenbahn“, (SUGII Gisaburô/anime,1985)
31.(Do) Film, „Unser Milchstraßenexpress“ (ÔMORI Kazuki, 1996)

Datum
01.03.2022 - 31.03.2022

Ort
Japanisches Kulturinstitut
Universitätsstraße 98
50674 Köln

Veranstaltungen in dieser Reihe

Fr 04.  Mär '22
18:00
Konzert | Miyazawa-Kenji-Monat

Cellokonzert und Lesung zur Erzählung „Gôshu, der Cellist“

mit UEHARA Alice (Cello) und OGATA Ayako (Lesung)

Fr 11.  Mär '22
00:00
Japanische Sprache | Miyazawa-Kenji-Monat

Onomatopöie bei MIYAZAWA Kenji

Sa 12.  Mär '22
09:30
Japanische Sprache | Miyazawa-Kenji-Monat

Übersetzungsworkshop (Japanisch-Deutsch) zur Erzählung „Yamanashi“

mit Ursula Gräfe

Mo 14.  Mär '22
00:00
Film | Miyazawa-Kenji-Monat

Miyazawa Kenji, eine Würdigung des berühmten japanischen Dichters

Die Fantasiewelten des Miyazawa Kenji

Fr 25.  Mär '22
18:00
Vortrag / Symposium | Miyazawa-Kenji-Monat

Eine Nacht in der Milchstraßenbahn

Buchpräsentation